Ohne Schreck und Schaden

Verkehrswendeinitiative Einbeck und Autohaus Kerkau aktiv für sichere Radwege

Einbecks Straßen sollen sicherer werden und hierzu gilt es insbesondere, die kleineren vor den größeren bzw. die leichteren vor den schwereren Verkehrsteilnehmern zu schützen. Einen Risikofaktor haben nun Vertreter der Einbecker Verkehrswendeinitiative am Altendorfer Tor in den Fokus genommen. Und das sind Motorhauben, die Autofahrer beim Verlassen von Parkplätzen oft achtlos bis an den Autofahrbahnrand vorschieben. Achtlos deshalb, weil dabei die zwischen Autofahrbahn und Grundstücksausfahrten befindlichen Radwege viel zu häufig einfach vergessen werden. Die Folge sind gefährliche Vorfahrtsverletzungen durch die Autofahrerenden, die Radfahrende dann zu gefährlichen Brems- und Ausweichmanövern nötigen oder sogar zu Unfällen führen.

„Zu den Anrainern des Altendorfer Tor zählen große Einkaufsmärkte, stark frequentierte Tankstellen, Industrieunternehmen und Autohäuser. Ein Großteil der Kunden, Mitarbeitenden und Lieferanten kreuzen mit ihren Kraftfahrzeugen täglich tausende Male die auf beiden Seiten entlang der Straße verlaufenden Radfahrwege. Leider sind diese Radwege für die Autofahrenden ausnahmslos nicht gut zu erkennen, da beispielsweise eine farbliche Hervorhebung von vorfahrtsberechtigen Radfahrwegen bisher leider in Einbeck noch keine Anwendung findet. Die Folge sind regelmäßige Vorfahrtsverletzungen durch Autos, die beim Heranfahren an die Autofahrbahn die Radwege komplett blockieren und oft zu spät herannahende Radfahrende wahrnehmen.“ so berichtet Martin Keil als Mitglied der Einbecker Verkehrswendeinitiative.

Ein von der Verkehrswendeinitiative Einbeck vorgestellter Lösungsansatz, mit dem diese Gefahrenmomente schon einmal reduziert werden sollen, stieß jüngst bei Autohaus Kerkau auf Begeisterung. „Solange die Radwege durch die öffentlichen Träger nicht ausreichend gekennzeichnet sind, besteht auch bei uns die Gefahr, dass unsere Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden bei der Ausfahrt von unserem Firmengelände Radfahrer übersehen bzw. den Radweg zu spät wahrnehmen. Den Vorschlag, in privater Eigeninitiative auf die Vorfahrt der Radfahrenden aufmerksam zu machen, haben wir begeistert mit umgesetzt.“

Die Lösung sind auffällige und ansprechend gestaltete Stoppschilder, die deutlich auf die Vorfahrt der Radfahrenden aufmerksam machen. Die Schilder wurden mit Einnahmen aus den Spenden für zwei Radreiseberichte in der TangoBrücke finanziert. Die Montage der Schilder an stabilen Masten finanzierte das Autohaus Kerkau. „Wir arbeiten daran, für diese wichtige Verkehrsachse mehr Sicherheit für Radfahrerende zu erlangen. Das Modell der Stoppschilder darf gerne Nachahmer finden. Eine große Verantwortung liegt jedoch vor allem bei der Stadt Einbeck, die sich auch diesen Radwegen im Rahmen der Umsetzung des Nahmobilitätskonzeptes zuzuwenden hat“ konstatiert Lotte Herzberg. Weitere Anrainer, die sich der Stoppschildlösung anschließen mögen, können unter https://einbeck.endlich-verkehrswende.de/ mit den Initiatorinnen Kontakt aufnehmen.

Einbecks erste Fahrradstraße eröffnet

Einbeck hat seit Montagnachmittag seine erste Fahrradstraße. Jedenfalls stehen zwischen Möncheplatz und Rathaus jetzt die Schilder dazu. Nur einen Haken hat die ganze Angelegenheit: An der tatsächlichen Verkehrssituation ändern diese Schilder nichts. Denn unter die blauen runden Fahrradsymbole hat die Stadt jeweils ein weiteres Schild geschraubt mit der Aufschrift „Motorräder und PKW frei“.

Das Einbecker Modell Fahrradstraße besagt also: Auf den Straßen Neuer Markt und Ostertor haben Radfahrende jetzt „Vorrang“ vorm Auto. Das bedeutet sie dürfen hier nebeneinander fahren, folgende Autos müssen sich an deren Geschwindigkeit anpassen. Was bei der Eröffnung niemand benennt: Auch vorher durften Radfahrende hier nicht überholt werden, so wie in praktisch allen Nebenstraßen Einbecks. Das schreibt nicht die Stadt Einbeck so vor, sondern die StVO, die besagt: Innerorts gilt für Kraftfahrzeuge beim Überholen von Radfahrenden (und Fußgänger*innen) ein Mindestabstand von 1,50 m, gemessen von der Außenkante des Fahrradlenkers bis zur Außenkante Autospiegel – bei Kindern sind es 2,00 m. Verbunden mit dem gerichtlich festgelegten Mindestabstand für Radfahrende zu parkenden Autos von 1,00 m bis 1,50 m ist auf den meisten historischen Straßen der Einbecker Innenstadt schlicht kein Platz, um an Fahrrädern vorbeizuziehen. Autofahrende müssen sich dahinter einordnen. Und die StVO legt weiter fest: „Mit Fahrrädern darf nebeneinander gefahren werden, wenn dadurch der Verkehr nicht behindert wird.“ Wenn also schon ein einzelnes Fahrrad nicht sicher überholt werden kann, dann können mehrere Radfahrende gut und gerne nebeneinander fahren.

Aber gut, auch Symbolpolitik trägt einen wichtigen Teil zum gesellschaftlichen Umdenken in Sachen Mobilitätswende bei, und dadurch vielleicht zur Erhöhung der tatsächlichen Verkehrssicherheit. Schließlich hängt jetzt auch vom Rathaus aus sichtbar ein großes Transparent über der Einfahrt zum Ostertor mit der Aufschrift „Fahrradstraße“ – die Stadt macht also ordentlich Werbung fürs Rad, auf dass sich doch bald alle Verkehrsteilnehmer*innen Einbecks der Existenz dieses Verkehrsmittels bewusst werden.

Zur Eröffnung der Straße sind nun gut 20 Teilnehmende gekommen, darunter diverse Kommunalpolitiker*innen, Vertreter der örtlichen Polizei und die zuständigen Amtsträger*innen der Stadtverwaltung. Alle freuen sich über das große Interesse, die Stimmung ist leicht unschlüssig und aufgekratzt. Der Bürgermeisterin ist während ihrer kurzen Ansprache die Sorge vor wütendem Protest aus der Bevölkerung anzumerken, sie versucht schon vorauseilend zu beschwichtigen, indem Sie in etwa erklärt: „Sie können als Radfahrende hier jetzt nebeneinanderfahren, wobei es besser ist, wenn Sie weiter hintereinander fahren.“ Im Klartext heißt das: Radfahrende, werdet angesichts eurer „neuen“ Freiheit bloß nicht übermütig! Später lässt sich ein Stadtratsmitglied zu der Aussage hinreißen: „Wir sind Dörfler! Und als Dörfler werden wir hier NIE mit dem Fahrrad entlangfahren!“ Ob das als ein Zeichen des Protests oder als guter Vorsatz zu verstehen war, bleibt offen. Der Weg zur Verkehrswende auf jeden Fall noch weit.

Eine weitere Stellschraube, an der es aktuell noch hakt, wird bei der Zufahrt zur Fahrradstraße am Möncheplatz ersichtlich. Wenige Tage vor der Eröffnung hatte die Stadtverwaltung die Straßenmarkierungen nachmalen lassen, erneuert wurde dabei auch die gestrichelte Linie des Fahrradschutzstreifens. Ein Schutzstreifen auf der Fahrradstraße? Das ergibt selbstverständlich keinen Sinn, besonders nicht am Ende der Einbahnstraße, in die eh keine Kraftfahrzeuge einbiegen dürfen. „Das IST kein Schutzstreifen“ ist auf Nachfrage die wiederholte Reaktion der Stadtverwaltung, „ein Versehen“ die Antwort der Polizei. Was an Markierungen dafür noch fehlt sind schöne große Fahrrad-Piktogramme auf dem Asphalt. Die Stadtverwaltung hält sich bedeckt, wann das passiert, die Polizei ist optimistisch, dass das noch kommt.

Überhaupt, wie soll es weitergehen mit dem Nahmobilitätskonzept in Einbeck, dessen Umsetzung der Stadtrat vor inzwischen Jahren beschlossen hat? Jetzt heiße es erst einmal abwarten und evaluieren, ist auch hier die verhaltene Einschätzung vonseiten der Stadtverwaltung. Vielleicht muss erst wieder irgendjemand auf einen Baum klettern, damit sich in Sachen Verkehrswende etwas bewegt. Eine positive Note zum Schluss: Der Betreiber des Hotels Einbecker Hof hat den Gewinn für sein Haus inzwischen erkannt: „Wir sind jetzt Einbecks erstes und einziges Hotel an der Fahrradstraße!“