Schottelius – Auftakt in die Spiritualität bei einbeck.blog
Das einzige Band menschlicher Einigkeit, das Mittel zum Guten, zur Tugend und zur Seligkeit, und die höchste Zier des vernünftlichen Menschen sind die Sprachen.
Justus-Georgius Schottelius, Teutsche Sprachkunst. 1641
(zitiert nach: https://www.aphorismen.de)
Sprechen. Beschreiben. Erklären. Verkünden. Sogar: Verkündigen, denn Ostern ist nah.
Auch: bestreiten – ja: Streiten! Mit Worten, im privaten wie im öffentlichen Diskurs – dabei geduldig erläutern und begründen.
Miteinander sprechen als „Mittel zum Guten“ – was für eine Möglichkeit:
Das Wort ergreifen! Den Anderen zu Worte kommen lassen! Das Wort ergreift uns.
Miteinander sprechen als Weg „zur Tugend“, zu Toleranz, zu einem menschlichen Miteinander – zu Mit-Menschlichkeit.
Wenn wir „die höchste Zier des vernünftlichen Menschen“ nutzen, indem wir uns und was uns angeht zur Sprache bringen, können wir – das ist meine Hoffnung – Vorurteile, Verhärtungen, Feindseligkeiten auflösen. Wir können die Gedanken und Überzeugungen des oder der Anderen gelten lassen, ohne sie übernehmen zu müssen. Einander SEIN lassen – vom eigenen Standpunkt aus den Standort der Anderen sichten, ihre Bedingtheiten wahrnehmen, nachdenken und erkennen: Es gibt viele wunderbare Wege durch die Welt zur Wahrheit.
Zur Sprache kommen lässt uns zur Welt kommen, in der wir und die Anderen Platz haben.
Einander sprechend begegnen bedeutet: die Sprache wird das Medium „zum Guten, zur Tugend und zur Seligkeit“, und, wenn wir jetzt Ostern denken, das Mittel zur Erlösung.
Wer ist dieser Justus-Georgius Schottelius, der behauptet, die Sprachen seien die höchste Zier des vernünftlichen Menschen?
Ich wohne in der Schotteliusstraße, bin hier aufgewachsen und nach einem halben Jahrhundert am Bodensee in mein GroßElternHaus zurückgekehrt. Seit ich buchstabieren kann, habe ich häufig den Namen meiner Straße buchstabieren müssen – kaum jemand konnte und kann mit dem Namen Schottelius etwas anfangen…
Dabei kennt den Träger dieses Namens jedes Kind, vom ersten Schuljahr an: Begriffe wie Hauptwort, Einzahl – Mehrzahl, Doppelpunkt und Zeitwörter stammen von ihm, dem Sprachforscher und –enthusiasten, der es als seine Lebensaufgabe ansah, für den sorgfältigen Gebrauch der Teutschen Sprache zu kämpfen, in Streitschriften und in einer großen Abhandlung:
Justi-Georgii Schottelii Einbeccensis, Teutsche Sprachkunst / Darinn die Allerwortreichste / Prächtigste / reinlichste / vollkommene / Uhralte Hauptsprache der Teutschen auß jhren Gründen erhoben / dero Eigenschafften und Kunststücke völliglich entdeckt / und also in eine richtige Form der Kunst zum ersten mahle gebracht worden. Abgetheilet in Drey Bücher.
Braunschweig / Gedruckt bey Balthasar Grubern / Im Jahr 1641.
Der Mann, der mitten im barocken Sprach-Wirrwarr und den grausam-blutigen Wirren des Dreißigjährigen Glaubens-Krieges darüber nachdachte, wie die Teutsche Sprache funktioniert und ihre Strukturen erforschte, hieß eigentlich Schottel, mit Vornamen Justus-Georg, und wurde am 23. Juni 1612 in Einbeck geboren. Später ließ er seinen Namen, wie es für Gelehrte damals üblich war, latinisieren. Zunächst aber ging er auf die Ratsschule in Einbeck. Sein Vater war Pastor, lutherischen Glaubens, hieß Johannes Schottelius – als Theologe war auch er dem Lateinischen zugeneigt – und starb bereits 1626, wahrscheinlich an der Pest. Die Mutter des nun vierzehnjährigen Justus-Georg war die Tochter – Margaretha – des Kaufmanns Ilse, und vermutlich war es ihre Familie, die bestimmte, der Knabe solle eine Lehre machen. Dieser aber wollte studieren, brach sowohl eine Handwerker- als auch eine Krämer-Lehre ab, zog nach Hildesheim und besuchte dort das Gymnasium Andreanum. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich mit Schreibarbeiten und Nachhilfeunterricht. Sein „Bildungsgang“ führte ihn dann weiter an die Universität in Helmstedt und über das Akademische Gymnasium in Hamburg an die Universität in Groningen. 1633 landete er schließlich in Leiden, wo er Jura studierte.
1636 besuchte er seine Mutter in Einbeck. Hier wurde ihm eine Stelle als Konrektor angeboten, die er aber ausschlug. Stattdessen ging er nach Wittenberg – mitten im Dreißigjährigen Krieg. Als 1638 die schwedische Armee dort anrückte, floh er nach Braunschweig, nahm eine Stelle als Hauslehrer an und wurde – welch glückliche Fügung! – von Herzog August von Braunschweig als Prinzenerzieher an den Hof berufen – eine nicht unerhebliche Verbesserung seiner Lebensumstände. Er konnte sich seinen Sprachforschungen widmen, wurde unter dem Namen „der Suchende“ Mitglied der „Fruchtbringenden Gesellschaft“ – einer Vereinigung renommierter Sprachwissenschaftler und Dichter des Barock – verfasste ein weiteres sprachwissenschaftliches Werk, die Ausführliche Arbeit Von der Teutschen Haubtsprache (erschienen 1663), Gedichte und Dramen sowie weitere Abhandlungen.
Dem Hof Braunschweig-Wolfenbüttel blieb er bis an sein Lebensende verbunden.
Am 25. Oktober 1676 ist er in Wolfenbüttel gestorben.
Und so gibt es eine Schotteliusstraße nicht nur in Einbeck, sondern auch in Wolfenbüttel.
Im Jahr seines Todes erschien das Versepos Grausame Beschreibung und Vorstellung der Hölle und der Höllischen Qwal. Zwei Auszüge:
LXXI
Was ist greulicher/ als sich selbsten grimmiglich zerbeissen /
Und sein’ eigne Haut und Fleisch / nagen und zu stükken reissen?
Dieses thut der Höllenwurm / O der Wurm / so nimmer stirbt /
Der durch nagend-steten Biß seine Nahrung fort erwirbt.
LXXVIII
Dieses große Qwaalgewölb /diese finstre Peinigkammer /
Drin in Winklen durch und durch dumpfet her der Marterhammer /
Schmertzthum heget endlos / Wehstand wächset ewig fort /
Sterben stets ohn allen Tod / füllet jeden Höllenort.
Starke Bilder.
Kehren wir zurück zur Sprache – zum Beginn der Lobrede auf dieselbe:
Was ist unter den Geheimnissen der Göttlichen Gaben / welche das Menschliche Gemüth besitzet / wol herrlicher als die innerste Erkenntniß der Sprachen?
Quellen: Albrecht Schöne, Die deutsche Literatur. Texte und Zeugnisse. Band III. Barock
Wikipedia: Justus Georg Schottelius
Hellmuth Vensky: Justus Georg Schottelius https://www.zeit.de/wissen/geschichte/2012-06/schottelius