Erster Einbecker Rufbus gut angenommen

„Machen und Lachen“ ist ein Motto, dem die Lastenradinitiative „Bolle“ jüngst zum närrischen Karnevalsumzug in Holtensen wieder einmal mit großer Einsatzfreude folgte. In Holtensen konnte im Sommer letzten Jahres das erste Dorflastenrad im Stadtgebiet Einbeck eingeführt werden. Mit Hilfe des Sponsors RENOLD als in Holtensen / Juliusmühle ansässigem Unternehmen konnte ein hochwertiges Yuba-E-Lastenrad inklusive eines Carla Cargo Anhängers angeschafft werden. Das Gespann kann von den Bewohnern des Dorfes kostenlos ausgeliehen werden. Das Dorflastenrad stellt seitdem eine Möglichkeit dar, der „Alternativlosigkeit“ zum Auto für auf dem Dorf lebende Menschen die Stirn zu bieten. Das Dorflastenrad wird regelmäßig ausgeliehen und ist seit seiner Einführung mal im Einbecker Stadtbild, regelmäßig auf Supermarktparkplätzen in Markoldendorf oder auch oft als Familienkutsche bei Sonntagsausflügen zu sehen.

Das Dorflastenrad und auch das private E-Bike stellen aber natürlich nur eine Möglichkeit dar, die Mobilität auf dem Dorf vom Auto unabhängiger zu machen. Nicht jeder kann oder mag den Weg zum Einkaufen, zum Arzt oder zum Ausflug in die Umgebung auf dem E-(Lasten-)Rad zurücklegen. Gerade ältere Menschen und Kinder, die im Stadtgebiet bereits allein unterwegs sein können, brauchen einen öffentlichen Personennahverkehr, der sich mehr an ihren Bedarfen als an einem meist recht ausgedünnten starren Fahrplan orientiert. Hier kommen schon seit Jahren in vielen deutschen Kommunen sogenannte Rufbusse zum Einsatz. Ein Rufbus wird telefonisch oder per App gebucht und fährt nur, wenn auch Buchungen vorliegen. Solche Modelle sparen im ersten Schritt schon einmal umweltschädliche Leerfahrten. Ökologisch noch sinnvoller und dabei viel stärker auf die Bedarfe der Fahrgäste angepasst sind sogenannte Bedarfsverkehre.

Bei solchen innovativen Nahverkehrsangeboten können Per App oder Telefon barrierefreie Fahrzeuge bequem zu einer Vielzahl von Haltestellen im Stadtgebiet bestellt werden. Es gibt keinen starren Fahrplan oder festgelegte Routen. Innerhalb des Bediengebiets kann jede Verbindung (Haltestelle zu Haltestelle) gebucht werden. Durch das flexible System entstehen kurze Reisezeiten, kurze Wege zur Haltestelle, da zusätzliche Haltepunkte angeboten werden können, keine Aufpreise zum regulären Linienverkehr, Buchungen können spontan oder auch über Tage im Voraus platziert werden und die Bezahlung kann auch direkt per App erfolgen.

„Ich finde es prima, dass von Bolle das Thema bedarfsorientierter ÖPNV auf dem Dorf im Rahmen des Karnevalsumzuges aufgenommen wurde. Das Leben auf dem Dorf sollte durch eine stetige Weiterentwicklung des Mobilitätskonzeptes immer noch interessanter gemacht werden, wobei wir hier in Holtensen aufgrund der Linie Einbeck Dassel noch relativ gut angebunden sind. Auf abgelegeneren Dörfern Einbecks könnte der bedarfsorientierte ÖPNV den Lebensstandard sicherlich noch signifikanter steigern.“ so Thomas Kahle, Ortsbürgermeister von Holtensen.

Ein Beispiel dafür, dass ein öffentlicher Bedarfsverkehr funktioniert und für die Mensch merklich die mobile Flexibilität steigert ist zum Beispiel das G-Mobil im nahe der holländischen Grenze gelegenen Gronau. „Bolle“ findet einen solchen modernen Bedarfsverkehr klasse. Statt lange auf die Einführung zu warten hieß es zum Karneval in Holtensen also „machen und lachen“. Mit einem höchstflexiblen „RUFBUS“ in Form eines VOWAG-Lastenrades als Zugmaschine und einem Pritschenanhänger bestückt mit drei Gartenbänken konnten bis zu 12 Personen im Rahmen des Karnevalsumzuges höchst individuell den umweltfreundlichen Shuttle nutzten. Die an den Straßen stehenden Karnevalsfreunde konnten sich ganz spontan zu einer Mitfahrt entscheiden. Der erste „RUFBUS“ im Stadtgebiet Einbeck wurde dabei ausgesprochen gut angenommen.

Unser Dank gilt an dieser Stelle ganz besonders:

  • Die Holtenser Karnevalsfreunde für die freundliche Einladung – vielen Dank, wir hatten viel Spaß
  • Dem Einbecker Lastenrad-Hausmeister: Wer ihn noch nicht kennt, der sollte ihn mal buchen. Sei es, den Garten in Schuss zu bringen, sei es, die Wohnung zu Renovieren oder eben das komplette Haus in Ordnung zu bringen. Christian hat alles im Blick und weiß auch, wie man ’nen Cargoanhänger im Null-Kommo-Nix zu einem Ruftaxi umbaut. Danke Christian.
  • Weißenborn Maschinenbau GmbH – immer wieder steht uns das Team Weißenborn mit Rat und Tat zur Seite, wenn es darum geht, unsere Lasten-Stahlrösser umzubauen und für den praktischen Einsatz startklar zu machen. Unser großer Pritschenanhänger hat für unseren Einsatz als Cargoanhänger bzw. Rufbus diesmal eine komplett neue Anhängekupplung bekommen. Herzlichen Dank für die professionelle Unterstützung.

Stürzt die Könige der Straße! – Rad-Alltag in Einbeck

In Einbeck eröffnet zum 1. April ein neuer Fahrrad-Laden. Mitten in der Innenstadt, an der zentralen Löwenkreuzung, gibt es dann E-Bikes zu leihen und zu kaufen. Auch einer der zwei eingesessenen Radläden hat expandiert und zum Jahreswechsel seinen Neubau eröffnet. Fahrrad fahren scheint auch in Einbeck ein vielversprechender Trend. Oder ist es nur das Fahrrad-Verkaufen?

Denn wer im Alltag mit dem Rad in Einbeck unterwegs ist, muss hartgesotten sein. Allein die Existenz von Radfahrenden auf der Straße scheint für viele im Auto reine Provokation. Keine einzige Fahrt zum Supermarkt, auf der ich nicht mindestens einmal von irgendeinem Typen mit aufheulendem Motor überholt werde. Aber auch Opas in ihrem alten Mercedes oder sonstwer in Familienkutschen ziehen mit gesetzeswidrig niedrigem Seitenabstand an mir vorbei. Laut einer bundesweiten Studie hält jedes zweite bis dritte Auto beim Überholen von Radfahrenden den gesetzlichen Mindestabstand von 1,50 m innerorts, 2,00 m außerorts und beim Überholen von Kindern, nicht ein. Die Folge sind unzählige Gefahrensituationen jeden Tag. Daran hat in Einbeck auch das Aufstellen der unsäglichen Hinweis-Schilder „Einbeck nimmt Rücksicht“ nichts geändert. Allein was helfen würde: Nur noch mit verlängertem Besenstil am Rad unterwegs sein, wie es die Teilnehmenden der Einbecker Fahrrad-Demo zum Jahreswechsel präsentierten.

Wer werktags in Einbeck unterwegs ist, dem begegnet die nächste „Unannehmlichkeit“ für Radfahrende: Ausgewiesene Radwege (mit Benutzungspflicht) werden stadtweit von parkenden Autos und LKWs blockiert. Größter Brennpunkt: Altendorfer Tor. Seit jeher lassen sich die zahlreichen anliegenden Autohäuser beliefern, indem die Sattelschlepper auf der gesamten Breite des Radwegs parken. Richter, Hübener, Kerkau, Autohaus Leinetal, und wie ihr alle heißt: Kriegt eure Zulieferer in den Griff! Und an das Ordnungsamt Einbeck: Schicken Sie doch wochentags zwischen 9 und 11 Uhr mal die ein oder andere Streife dorthin.

Auch an anderen Stellen werden die Blechkarren neuerdings auf Radwegen abgestellt. Am Freitagmorgen parkten in der Hullerser Landstraße gleich vier PKW mit ortsfremden Kennzeichen auf dem Fahrradweg, der hier getrennt von der Straße mit erhöhtem Borddstein geführt wird. Ein freundliches Haustür-Klingeln ergab: Die Autos gehören allesamt zu Mitarbeitenden des Johanniter Rettungsdienstes. Die erste Ansprechperson schien noch wenig beeindruckt von dem Hinweis, dass das rechtswidrig sei. Das ginge eben nicht anders mit dem Parken. Sind die Rettungsdienste nicht besonders interessiert daran, dass es sichere Rad-Infrastruktur gibt? 

Zu schnell gefahren, zu eng überholt, falsch geparkt – manch eine würde wohl sagen solche Vergehen seien Kavaliersdelikte. Diese Bezeichnung verrät unfreiwillig mehr über die Einstellung mancher Autofahrer*innen als gedacht. Jurist Gilbert Häfner erklärt in einem Artikel des MDR: „Unter Kavaliersdelikten verstand man früher Vergehen von Adligen (ital. cavaliere = Ritter), für die Gesetze nicht galten.“

Wer öfter mit Autofahrer*innen diskutiert, weiß: Genau diese Attitüde ist die Ursache für den ungerechten und gefährlichen Verkehrsalltag. „Mit dem Auto bin ich König, ich bin schneller, stärker, und damit wichtiger, als Radfahrende und Fußgänger*innen, die Straße ist allein für mich gebaut, und die StVO sind doch eher Richtlinien.“

Die vielleicht schmerzhafte Realität: Der Feudalismus ist vorbei, auch auf der Straße. Da kann dir dein mattschwarzer BMW-SUV dein Ego noch so poliert haben, die StVO gilt auch für dich. Und die besagt: Parken auf dem Radweg ist kein Spaß, sondern eine Ordnungswidrigkeit, und wird mit mind. 55 € Bußgeld geahndet. Beim praktischen Regelfall, dass durch das Falschparken eine Behinderung anderer entsteht, sind es 70 € und ein Punkt in Flensburg.

Es macht mir keinen Spaß mit Ordnungsamt und Bußgeldern zu drohen. Ich will nicht, dass meine Mitmenschen aus Angst vor Strafe anfangen sich rücksichtsvoll zu verhalten. Oder dass Institutionen wie die Polizei überhaupt involviert werden müssen. In der Regel eskaliert das selbst lapidare Situationen, und gerechter ist es danach sicher nicht. Aber ich weiß inzwischen nicht mehr, wie ich zur abgedrehten Selbstwahrnehmung meiner Mitmenschen durchdringen soll, die ihre eigene Bequemlichkeit und das krampfhafte Festhalten an einer veralteten Mobilitätsform über meine körperliche Unversehrtheit und die gesellschaftlich ausgehandelte Rechtsgrundlage stellen.

Wie kommen wir endlich kollektiv zur Vernunft?

Verkehrswende jetzt.

“Höchstens symbolischer Akt”

Erste geplante Fahrradstraße in Einbeck hat Verbesserungspotenzial

von Valentin und Lotte

Am Samstag, den 26. November 2022, fand mit gut ein Dutzend Teilnehmenden die allmonatliche Fahrrad-Demo durch Einbeck statt. Neben der gewohnten Route über Grimsehlstraße und Altendorfer Tor führte die Demo diesmal zusätzlich durch das Ostertor und den Neuen Markt. Wie in der Ratssitzung des Bauausschusses am vergangenen Dienstag angekündigt, sollen diese Straßen zeitnah zu einer Fahrradstraße umgewidmet werden.

Bei der Zwischenkundgebung am Neuen Markt Ecke Hohe Münsterstraße lobte ein Teilnehmer zwar, dass eineinhalb Jahre nach Veröffentlichung des Nahmobilitätskonzepts nun endlich erste Maßnahmen ergriffen werden, kritisierte jedoch die Zurückhaltung, mit der dies geschehe. Die Fahrradstraße soll nämlich ohne Einschränkungen für den Kfz-Verkehr umgesetzt werden, nicht einmal Parkplätze sollen dafür weichen. Damit entspricht die Maßnahme nicht mehr der eigentlichen verkehrsrechtlichen Definition einer Fahrradstraße, und auch an der aktuellen Gefahrenlage für Radfahrende speziell an der Ecke Neuer Markt / Hohe Münsterstraße wird sich aller Vorraussicht nacht nichts ändern. Die Umwidmung zur “Fahrradstraße” in der geplanten Form wird sich höchstens als symbolischer Akt und dezenter Hinweis auf Rücksichtnahme niederschlagen.

Alle, die regelmäßig mit dem Fahrrad unterwegs sind, wissen, was es bedeutet auf die Rücksichtnahme von Autos angewiesen zu sein: Überholvorgänge mit weniger als einem Meter Abstand sind keine Seltenheit. Die Kampagne „Einbeck nimmt Rücksicht“ versucht vergeblich mit Schildern auf die Einhaltung des gesetzlichen Sicherheitsabstandes von 1,50m hinzuwirken. Dabei zeigen zahlreiche Studien, nicht die Appelle an Rücksichtnahme, sondern konkrete bauliche Maßnahmen schaffen die nötige Verkehrssicherheit. Für eine sichere Fahrradinfrastruktur braucht es mehr autofreie Fläche.

Am Beispiel des Ostertor / Neuer Markt bedeutet das mindestens das Streichen der Parkplätze im Kurvenbereich Ecke Hohe Münsterstraße, da hier Fahrradfahrende, die in Richtung Rathaus unterwegs sind für entgegenkommende Autofahrer erst sehr spät zu sehen sind. Auch die Sperrung oder Teilsperrung für den Autoverkehr ist machbar, schließlich ist der Möncheplatz über drei weitere Straßen erreichbar. Realisiert durch einen Poller oder eine Schranke muss dabei kontrolliert werden, dass die Sperrung auch eingehalten wird. Erst mit solchen Maßnahmen verdient eine Straße den Begriff „Fahrradstraße“.

Zur Abschlusskundgebung der Fahrrad-Demo auf dem Möncheplatz wurde erneut die Bauausschusssitzung aufgegriffen: „Mit den aktuellen Entwicklungen zeigt sich erneut deutlich, dass die Stadt das Nahmobilitätskonzept nicht als einen elementaren Faktor einer sozial gerechten Gestaltung des öffentlichen Raums verstanden hat. Stattdessen behandelt sie das Thema als Nebensache, welche hinter anderen prestigeträchtigen Projekten, wie dem Bau neuer Einkaufszentren, Hotels oder umweltpolitisch enorm fragwürdiger Neubaugebiete, zurückstehen muss“, kritisierte Lotte Herzberg die aktuelle Stadtpolitik.

Nach der Fahrrad-Demo trafen sich einige Aktive zur Vernetzung und weiteren Planung. Die kostenlose Ausleihplattform “Bolle” für Lastenräder in Einbeck (www.lastenrad-einbeck.de) wird vorraussichtlich weiter wachsen, sodass sich mehr Menschen an der Nutzung von Lastenrädern und erfreuen können. Das Angebot soll in den kommenden Monaten um sogenannte Inklusions-Räder erweitert werden. Diese Räder sind dazu gedacht, zusammen mit mobilitätseingeschränkten Menschen auf einem Fahrrad unterwegs sein zu können. Denkbar sind hierbei auch Ausflüge mit Menschen in Alten- oder Pflegestätten. Auf https://einbeck.endlichverkehrswende.de gibt es zu allem weitere Informationen.

Die Verkehrswende-Initiative ist ein offener Zusammenschluss und freut sich über weitere Mitstreiter*innen. Auch Menschen aus den umliegenden Ortschaften sind eingeladen, für eine Verbesserung der Fahrradinfrastruktur mit einzustehen. Aufgrund der frühzeitigen Dunkelheit sind die Fahrrad-Demos in den kommenden Monaten auf den letzten Samstag im Monat verlegt, Start ist jeweils um 11 Uhr an der Jungen Linde im Hubeweg. Nächster Termin ist somit Silvester.

Monatliche Fahrrad-Demo ab heute jeweils am letzten Samstagvormittag im Monat – 11 Uhr geht’s los

Die allmonatlichen Fahrrad-Demos für eine bürgerfreundliche und nachhaltige Verkehrswende in Einbeck sind inzwischen schon fest in der Ilmestadt etabliert. Für die kommenden drei Fahrrad-Demos im November, Dezember und Januar möchten die Organisator*innen den Termin vom letzten Freitag auf den Vormittag des letzten Samstags im Monat verschieben. Der nächste Startpfiff zur Fahrraddemo wird also am Samstag, den 26. November um 11 Uhr erklingen. Startpunkt bleibt wie bisher auch die Jungen Linde am Hubeweg 1. Das Ziel der Fahrraddemo wird am Markplatz in Höhe des just entstehenden Verkehrswende-Shop „ein.bike“, Marktplatz 31, sein.

Der neue Termin soll es noch mehr Menschen möglich machen, an der rollenden Fahrradversammlung teilnehmen zu können. Durch die Durchführung am Vormittag kann während der dunklen Jahreszeit auch weiterhin bei Tageslicht geradelt werden. Menschen, die sich ebenfalls für eine zukunftsgewandet und nachhaltige Entwicklung der lokalen Verkehrsinfrastruktur einsetzten möchten, sind herzlich dazu eingeladen, sich zur Fahrraddemo mit auf den Sattel zu schwingen.

Im Anschluss an die Fahrraddemo treffen sich um 13 Uhr Interessierte rund um bessere Rad- und Fußinfrastruktur, ÖPNV und Verkehrswende im Einbecker Kulturbüro am Möncheplatz 1. Neue Gesichter in der Runde werden herzlich willkommen geheißen.

In den kommenden Monaten wird in einer Arbeitsgruppe am konkreten Verkehrswende-Plan für die Stadt Einbeck und Umgebung gearbeitet. Dieser soll sodann im Frühjahr zum Beginn der Fahrradsaison 2023 veröffentlicht und der Stadt überreicht werden.

Startpunkt: Parkplatz der Jungen Linde, Hubeweg 1, 37574 Einbeck

Endpunkt: regelmäßig Einbecker Marktplatz

Verantwortlicher Veranstalter:

rotierend jeweils die der Initiative verbundenen Institutionen. Das sind bisher:

  • K20 Projekthaus | Knickstraße 20 | 37574 Einbeck
  • ADFC Einbeck / Northeim | Fürst-Hardenberg-Straße 21 | 37154 Northeim
  • Konzert- und Kulturfreunde Einbeck e.V. | Lange Brücke 1 | 37574 Einbeck
  • Bolle – Lastenrad Einbeck | Lange Brücke 1 | 37574 Einbeck

Hoher Nachholbedarf bei sozial-ökologischer Verkehrsgestaltung

Einbeck, 23.11.2022, von Valentin und Lotte

Stellungnahme zur Ausschuss-Sitzung und dem städtischen Umgang mit Nahmobilität vom 22. Nov. 2022

Die Ausschusssitzung des Einbecker Stadtrats zu Bauen und Stadtentwicklung am Dienstag Abend behandelte verschiedene verkehrspolitische Tagespunkte und belegt das weiterhin unzureichende Verständnis der Einbecker Stadtverwaltung von zeitgemäßer Verkehrspolitik.

Programmpunkt der Sitzung war unter anderem das städtische Nahmobilitätskonzept, welches bereits im Sommer 2021 vom Planungsbüro Schubert erstellt und vom Stadtrat beschlossen worden war. Eineinhalb Jahre später bemüht sich die Verwaltung nun mit den ersten verkehrstechnischen Umsetzungen um einen mehr als zähen Beginn, das 20.000 Euro teure Gutachten in die Tat umzusetzen. Der Vorschlag: Hauptsächlich ein paar Fahrradständer, ein paar abgesenkte Bordsteine, Räder in der Fußgängerzone. Außerdem: Eine Fahrradstraße.

Die Freigabe von Ostertor und Neuer Markt als Fahrradstraße mag zunächst gut klingen, letztendlich zeigt die Stadt hiermit jedoch ihr grundlegendes Unverständnis einer sozial[1]ökologischen Verkehrsplanung und sogar der Straßenverkehrsordnung. Die Umsetzung der Maßnahme sieht lediglich das Aufstellen von Schildern vor, Kraftfahrzeuge sollen diese Straße weiterhin vollumfänglich befahren dürfen. Mit einer Fahrradstraße hat dies per Definition schon nicht mehr viel zu tun, die in ihrer ursprünglichen Form nämlich ein Fahrverbot für Autos vorsieht.

Gerade das Ostertor, das als Einbahnstraße durch Fahrradfahrende in Gegenrichtung befahren werden darf, ist schon heute eine für Fahrradfahrende nicht ungefährliche Straße. Eine enge Straßengestaltung und die weitgezogen Kurve, in deren Innenseite geparkt werden darf, erfordern hohe Aufmerksamkeit. Da der Möncheplatz derzeit durch vier Zufahrtsstraßen für Autos erreichbar ist, ist es nicht zuviel verlangt, an dieser Stelle über eine reine Fahrradstraße nachzudenken. Im ersten Schritt könnten zumindest die Parkplätze entlang des Ostertors gestrichen werden, was die Verkehrssituation schon reichlich entschärfen würde.

Auch die Freigabe der Fußgänger*innenzone für den Fahrradverkehr an Sonn- und Feiertagen zeigt, dass die Verwaltung den Kern der Problematik für Radfahrende nicht verstanden hat. Nicht der Fußverkehr raubt Fahrradfahrenden den Raum für sicheres Unterwegssein, sondern das Auto. Eine Fußgängerzone hat ihre volle Berechtigung. Dort das Fahrradfahren zu erlauben kann neue Konflikte mit Fußgänger*innen schüren, verbessert die Verkehrssituation für Fahrradfahrende jedoch kaum. Für eine sozial-ökologische Gestaltung des Verkehrs muss grundlegend verstanden werden, wo die Gefahren im Straßenverkehr liegen und wer diese verursacht: das Auto. Ohne diesem Raum zu nehmen, ist eine sichere Verkehrsgestaltung für Fuß- und Radverkehr nicht möglich.

Mit der Errichtung einer Arbeitsgruppe Mobilität gibt die Stadt zumindest offen zu, dass sie in diesem Punkt Nachhilfe braucht. Zukünftig sollen engagierte Bürger*innen zusammen mit der Verwaltung an der Umsetzung des Nahmobilitätskonzeptes arbeiten. Grundsätzlich ist dieser partizipative Ansatz von Politik begrüßenswert. Langfristig kann aber nicht angehen, dass die Stadt auf unbezahlte Mithilfe baut, um ihre Hausaufgaben zu machen, nämlich die Vorhaltung einer gerechten Verkehrssituation und die Einhaltung der StVO. Bei den anderen Bauvorgängen, die an diesem Abend behandelt wurden, braucht es dies schließlich auch nicht. Auch die übrigen Tagesordnungspunkte der Sitzung verdeutlichen, wie Auto-zentriert Stadtrat und Verwaltung noch immer agieren. Die Stadt will die Steuerlast der Parkgebühren tragen, statt sie auf den Parkpreis aufzuschlagen. Eine Erhöhung um 10 Cent wird als „unverhältnismäßig“ abgelehnt. Auch die Zuverfügungstellung von Parkplätzen im Öffentlichen Raum, z.B. entlang innerstädtischer Straßen bezeichnet die Stadt als „hoheitliche Aufgabe“. Die Konsequenz wird bspw. in der Tiedexer Straße deutlich: Einige Wenige belegen mit ihren Privatwägen fast unentgeltlich einen Großteil des Öffentlichen Raums, die touristische Attraktivität, die Aufenthaltsqualität und Verkehrssicherheit Aller muss hinter dem Privatinteresse Weniger zurückstehen. Dabei fallen auch diese drei Aspekte in den hoheitlichen Aufgabenbereich der Stadt.

Den Höhepunkt der verkehrspolitischen Verblendung erreicht die Sitzung gegen Ende während der Einwohner*innen-Fragestunde. Ein Mitglied der Verkehrswende-Initiative thematisiert die gefährliche und nicht StVO-konforme Verkehrssituation auf der Schützenstraße im Eingangsbereich der Goetheschule. Der dort angelegte Fahrrad-Schutzstreifen entspricht ausgerechnet hier nicht ansatzweise der gesetzlichen Mindestbreite von 1,25 m. Tatsächlich ist der Streifen so schmal, dass das aufgemalte Fahrrad-Symbol keinen Platz darin findet. Auf Nachfrage, wann diese besonders sensible Situation direkt vor der Schule entschärft wird, antwortet Herr Mertens, Leiter der Abteilung für Stadtentwicklung und Bauen, an dieser Stelle sei einfach kein Platz. Kein Platz wofür? Für die Umsetzung der StVO? Dabei ist die Schützenstraße eine gängige Standardsituation, es gibt zahlreiche sichere und StVO-konforme Regelungen für genau solche Straßen vor Schulen. Denkbar wären das Einrichten einer echten Fahrradstraße, also der tatsächlichen Sperrung für den Autoverkehr, einer Spielstraße oder wenigstens die Umgestaltung zur Einbahnstraße für den Autoverkehr. Herr Mertens scheint seine persönliche Wahl zwischen dem Erhalt der Rennstrecke Schützenstraße und dem Durchsetzen der Verkehrssicherheit von Kindern und Jugendlichen allerdings endgültig getroffen zu haben.

Am Ende verrät allein der Wortlaut der Beschlussvorlage zur Nahmobilität, dass dieses Thema für die Stadt keine ernst zu nehmende Rolle spielt. Als Ziele benennt die Stadt die Vorhaltung einer zeitgemäßen technischen Infrastruktur und ein adäquates Kultur-, Sport- und Freizeitangebot. Eine sichere und sozial-ökologische Alltagsmobilität hat ein Einbeck derzeit einfach keinen Platz.

Valentin und Lotte von der Verkehrsinitiative Einbeck

Die Stadt der Liebe – …zum Zweirad // Oder: Family Bolle in Paris

Als Kind mit den Eltern, dann wohl so mit siebzehn und dann alle paar Jahre mal wieder führte auch mich mein Weg nach Paris. Was mich an dieser Stadt immer beeindruckte war die enorme Größe. Die endlosen Avenues, die natürlich die pompösen Prachtbauen und die prachtvollen klassizistischen Straßenzüge a la Haussmann.

Die Weitläufigkeit der Stadt überwältigt, aber macht die Erkundung dann auch zu einer echten Herausforderung. Nimmt man die Metro verpasst man das bunte Leben zwischen den Stationen. Nimmt man das Auto, so erfährt man ein Hupkonzert wie von 1.000 Trompeten und findet keinen Parkplatz – nun, das alte Lied eben. Und zu Fuß, da kommt man gefühlt nie dort an, wo man gerade hinmöchte und wenn man ankommt, ist man leider auch komplett ausgepowert. Bleibt noch das Fahrrad – aber in einer vom Puls des ewigen Autoverkehrs getriebenen Metropole, wo ich entweder achtspurige Straßen zu überwinden habe oder mir in engen Gassen Taxis und knatternde Vespas entgegenfliegen, da bleibt man doch lieber auf dem mehr oder minder sicheren Fußweg. Ja, so war es wohl einmal so….

Anne Hildalgo – Bürgermeisterin von Paris (seit April 2014)

Von der Pariser Bürgermeisterin Anne Hildalgo und ihrem Grünen Daumen für die Stadt hat man in den letzten Jahren ja auch in Deutschland immer wieder gehört.

Als wir uns allerdings im Frühjahr 2022 für einen Trip mit dem Zug nach Paris entschieden, war es schon eher der Wunsch unserer Töchter, endlich mal den Eifelturm in natura zu sehen und weniger die Neugier auf die Ergebnisse von Hildalgos konsequent betriebener Verkehrswendepolitik.

Vom Zug auf’s Lastenrad….

In Paris – wie sollte es anders sein – wollten wir uns dann natürlich wieder ein Fahrrad für Patricia und ein Lastenrad für die Kinder und mich ausleihen. Eine wirklich hilfreiche Website war hier übrigens dann listnride.de. Hier sind wir zunächst auf ein Riese Müller Load 75 gestoßen und über dieses Bike dann auf Richard, der uns mit „Vive le vélo cargo“ begrüßte und sich mit seinen vierzehn hochwertigen Lastenrädern schon als so etwas wie ein Brother in mind oder passender natürlich als Âme sœur für uns entpuppte. Richards Kontaktdaten präsentieren wir übrigens noch weiter unten – für alle, die auch mal mit den Kindern durch Paris biken wollen.

Bereits um 22 Uhr lieferte uns Richard am Tag unserer Anreise das Load 75 und dazu auch noch ein Hollandrad für Patricia bis vor die Haustür. Sodann erläuterte er mir eine gute halbe Stunde ganz in Ruhe die insgesamt vier Schlösser sowie die Alarmanlage für die Räder. Dass das Load 75 auch über eine Satellitenortung verfügt, hatte auch für uns gleich mehrere Vorteile – doch dazu später mehr.

Durch den schnellen Fahrrad-Lieferservice von Richard konnten wir uns also bereits an unserem ersten Morgen in Paris auf die Sattel schwingen und freuten uns über die frische Luft im Gesicht. Von unserer Wohnung in der der Rue de Constantinople zum Moulin Rouge sind es – mit dem Fahrrad – nur ein paar Minuten.

Ein Sigthseeing, bei dem der Weg auf den Fahrrädern auch schon das Ziel war und bei dem die Kinder mit wachsender Begeisterung „Ich sehe was, was Du nicht siehst – schon weg…“ spielen konnten.

Paris liefert AHA-Effekte für Verkehrswende-Schlafmützen

Ja, wir sind wirklich Radfahren im Herzen und somit waren wir schnell begeistern vom enormen Engagement in Sachen Ausbau der Fahrradwege- und Fahrradstraßeninfrastruktur.

Hier einige der absoluten Pariser Fahrrad-Highlights:

Die Rue de Rivoli

Foto: Steffen Schneider – www.bikefolks.de

In der Fahrradwelt wird diese Straße inzwischen von Nord bis Süd und West bis Ost einhellig besungen. Und es ist in der Tat ein Erlebnis. Die Anfang 2019 noch von Autos dominierte parallel zur Seine verlaufende Hauptverkehrsachse von Paris hat sich zum Fahrradparadies entwickelt.

Uns schien der Begriff „Dreibahnstraße“ für eine solche Modellstraße der passende zu sein. Jeweils eine Spur in beide Richtungen für Fahrräder und eine Spur in eine Richtung für den motorisierten Verkehr. Autos kommen immer noch hin, wo sie hinwollen – wirklich bequem ist es aber nicht mehr. Noch dazu, weil man in Paris ohnehin dort, wo man hin möchte meist keinen Parkplatz finden kann.

Wir sind von so viel Entschlossenheit bei der Umsetzung der Verkehrswende mehr als begeistert. Bis auf weiteres ist die Rue de Rivoli unsere Lieblingsfahrradstraße.

Die vielen Fahrradweg-Baustellen

In Paris werden wie es scheint im Akkord baulich vom Autoverkehr getrennte Rad- und Fußwege gebaut. Dabei wird ziemlich konsequent auch bedacht, dass Fahrradwege nicht einfach irgendwo aufhören sollten. Kreuzungsbereich werden somit ebenfalls komplett umgebaut – sofern sie es noch nicht sind.

Das Resultat sind Verkehrsführungen, bei denen die Wege von Radfahrern und Fußgängern klar und durchgehend eine sichere und zügige Fahrt durch die Stadtteile ermöglichen.

Der Tunnel des Tuileries

Unser FAZIT zur Pariser Verkehrsinfrastruktur:

Es lohnt sich definitiv, sich für die Ziele einer von Lärm und Abgasen befreiten Stadt einzusetzen. Es lohnt sich zweifelsohne, mutig dranzugehen, Parkplätze zu Spielplätzen zu machen und den urbanen Raum von Auto- zum Lebensraum zu machen.

Dass innerstädtisches Leben verödet, wenn es nicht mehr mit dem Auto erreicht werden kann, ist ganz sicher genau so ein Trugschluss, wie z.B. die Angst davor, dass das Leben im Wald gefährdet würde, wenn ich diesen nicht mehr mit meinem Auto durchkreuzen kann.

Paris – die Stadt der Liebe – zum Zweirad!

PS: hier noch wie oben angekündigt der direkte Kontakt zu Richard

Richard Dion
Place de la Porte de Vanves 1
75014 Paris, France
+33 6 33 16 69 04


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