Hoher Nachholbedarf bei sozial-ökologischer Verkehrsgestaltung

Einbeck, 23.11.2022, von Valentin und Lotte

Stellungnahme zur Ausschuss-Sitzung und dem städtischen Umgang mit Nahmobilität vom 22. Nov. 2022

Die Ausschusssitzung des Einbecker Stadtrats zu Bauen und Stadtentwicklung am Dienstag Abend behandelte verschiedene verkehrspolitische Tagespunkte und belegt das weiterhin unzureichende Verständnis der Einbecker Stadtverwaltung von zeitgemäßer Verkehrspolitik.

Programmpunkt der Sitzung war unter anderem das städtische Nahmobilitätskonzept, welches bereits im Sommer 2021 vom Planungsbüro Schubert erstellt und vom Stadtrat beschlossen worden war. Eineinhalb Jahre später bemüht sich die Verwaltung nun mit den ersten verkehrstechnischen Umsetzungen um einen mehr als zähen Beginn, das 20.000 Euro teure Gutachten in die Tat umzusetzen. Der Vorschlag: Hauptsächlich ein paar Fahrradständer, ein paar abgesenkte Bordsteine, Räder in der Fußgängerzone. Außerdem: Eine Fahrradstraße.

Die Freigabe von Ostertor und Neuer Markt als Fahrradstraße mag zunächst gut klingen, letztendlich zeigt die Stadt hiermit jedoch ihr grundlegendes Unverständnis einer sozial[1]ökologischen Verkehrsplanung und sogar der Straßenverkehrsordnung. Die Umsetzung der Maßnahme sieht lediglich das Aufstellen von Schildern vor, Kraftfahrzeuge sollen diese Straße weiterhin vollumfänglich befahren dürfen. Mit einer Fahrradstraße hat dies per Definition schon nicht mehr viel zu tun, die in ihrer ursprünglichen Form nämlich ein Fahrverbot für Autos vorsieht.

Gerade das Ostertor, das als Einbahnstraße durch Fahrradfahrende in Gegenrichtung befahren werden darf, ist schon heute eine für Fahrradfahrende nicht ungefährliche Straße. Eine enge Straßengestaltung und die weitgezogen Kurve, in deren Innenseite geparkt werden darf, erfordern hohe Aufmerksamkeit. Da der Möncheplatz derzeit durch vier Zufahrtsstraßen für Autos erreichbar ist, ist es nicht zuviel verlangt, an dieser Stelle über eine reine Fahrradstraße nachzudenken. Im ersten Schritt könnten zumindest die Parkplätze entlang des Ostertors gestrichen werden, was die Verkehrssituation schon reichlich entschärfen würde.

Auch die Freigabe der Fußgänger*innenzone für den Fahrradverkehr an Sonn- und Feiertagen zeigt, dass die Verwaltung den Kern der Problematik für Radfahrende nicht verstanden hat. Nicht der Fußverkehr raubt Fahrradfahrenden den Raum für sicheres Unterwegssein, sondern das Auto. Eine Fußgängerzone hat ihre volle Berechtigung. Dort das Fahrradfahren zu erlauben kann neue Konflikte mit Fußgänger*innen schüren, verbessert die Verkehrssituation für Fahrradfahrende jedoch kaum. Für eine sozial-ökologische Gestaltung des Verkehrs muss grundlegend verstanden werden, wo die Gefahren im Straßenverkehr liegen und wer diese verursacht: das Auto. Ohne diesem Raum zu nehmen, ist eine sichere Verkehrsgestaltung für Fuß- und Radverkehr nicht möglich.

Mit der Errichtung einer Arbeitsgruppe Mobilität gibt die Stadt zumindest offen zu, dass sie in diesem Punkt Nachhilfe braucht. Zukünftig sollen engagierte Bürger*innen zusammen mit der Verwaltung an der Umsetzung des Nahmobilitätskonzeptes arbeiten. Grundsätzlich ist dieser partizipative Ansatz von Politik begrüßenswert. Langfristig kann aber nicht angehen, dass die Stadt auf unbezahlte Mithilfe baut, um ihre Hausaufgaben zu machen, nämlich die Vorhaltung einer gerechten Verkehrssituation und die Einhaltung der StVO. Bei den anderen Bauvorgängen, die an diesem Abend behandelt wurden, braucht es dies schließlich auch nicht. Auch die übrigen Tagesordnungspunkte der Sitzung verdeutlichen, wie Auto-zentriert Stadtrat und Verwaltung noch immer agieren. Die Stadt will die Steuerlast der Parkgebühren tragen, statt sie auf den Parkpreis aufzuschlagen. Eine Erhöhung um 10 Cent wird als „unverhältnismäßig“ abgelehnt. Auch die Zuverfügungstellung von Parkplätzen im Öffentlichen Raum, z.B. entlang innerstädtischer Straßen bezeichnet die Stadt als „hoheitliche Aufgabe“. Die Konsequenz wird bspw. in der Tiedexer Straße deutlich: Einige Wenige belegen mit ihren Privatwägen fast unentgeltlich einen Großteil des Öffentlichen Raums, die touristische Attraktivität, die Aufenthaltsqualität und Verkehrssicherheit Aller muss hinter dem Privatinteresse Weniger zurückstehen. Dabei fallen auch diese drei Aspekte in den hoheitlichen Aufgabenbereich der Stadt.

Den Höhepunkt der verkehrspolitischen Verblendung erreicht die Sitzung gegen Ende während der Einwohner*innen-Fragestunde. Ein Mitglied der Verkehrswende-Initiative thematisiert die gefährliche und nicht StVO-konforme Verkehrssituation auf der Schützenstraße im Eingangsbereich der Goetheschule. Der dort angelegte Fahrrad-Schutzstreifen entspricht ausgerechnet hier nicht ansatzweise der gesetzlichen Mindestbreite von 1,25 m. Tatsächlich ist der Streifen so schmal, dass das aufgemalte Fahrrad-Symbol keinen Platz darin findet. Auf Nachfrage, wann diese besonders sensible Situation direkt vor der Schule entschärft wird, antwortet Herr Mertens, Leiter der Abteilung für Stadtentwicklung und Bauen, an dieser Stelle sei einfach kein Platz. Kein Platz wofür? Für die Umsetzung der StVO? Dabei ist die Schützenstraße eine gängige Standardsituation, es gibt zahlreiche sichere und StVO-konforme Regelungen für genau solche Straßen vor Schulen. Denkbar wären das Einrichten einer echten Fahrradstraße, also der tatsächlichen Sperrung für den Autoverkehr, einer Spielstraße oder wenigstens die Umgestaltung zur Einbahnstraße für den Autoverkehr. Herr Mertens scheint seine persönliche Wahl zwischen dem Erhalt der Rennstrecke Schützenstraße und dem Durchsetzen der Verkehrssicherheit von Kindern und Jugendlichen allerdings endgültig getroffen zu haben.

Am Ende verrät allein der Wortlaut der Beschlussvorlage zur Nahmobilität, dass dieses Thema für die Stadt keine ernst zu nehmende Rolle spielt. Als Ziele benennt die Stadt die Vorhaltung einer zeitgemäßen technischen Infrastruktur und ein adäquates Kultur-, Sport- und Freizeitangebot. Eine sichere und sozial-ökologische Alltagsmobilität hat ein Einbeck derzeit einfach keinen Platz.

Valentin und Lotte von der Verkehrsinitiative Einbeck

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