Stürzt die Könige der Straße! – Rad-Alltag in Einbeck
In Einbeck eröffnet zum 1. April ein neuer Fahrrad-Laden. Mitten in der Innenstadt, an der zentralen Löwenkreuzung, gibt es dann E-Bikes zu leihen und zu kaufen. Auch einer der zwei eingesessenen Radläden hat expandiert und zum Jahreswechsel seinen Neubau eröffnet. Fahrrad fahren scheint auch in Einbeck ein vielversprechender Trend. Oder ist es nur das Fahrrad-Verkaufen?
Denn wer im Alltag mit dem Rad in Einbeck unterwegs ist, muss hartgesotten sein. Allein die Existenz von Radfahrenden auf der Straße scheint für viele im Auto reine Provokation. Keine einzige Fahrt zum Supermarkt, auf der ich nicht mindestens einmal von irgendeinem Typen mit aufheulendem Motor überholt werde. Aber auch Opas in ihrem alten Mercedes oder sonstwer in Familienkutschen ziehen mit gesetzeswidrig niedrigem Seitenabstand an mir vorbei. Laut einer bundesweiten Studie hält jedes zweite bis dritte Auto beim Überholen von Radfahrenden den gesetzlichen Mindestabstand von 1,50 m innerorts, 2,00 m außerorts und beim Überholen von Kindern, nicht ein. Die Folge sind unzählige Gefahrensituationen jeden Tag. Daran hat in Einbeck auch das Aufstellen der unsäglichen Hinweis-Schilder „Einbeck nimmt Rücksicht“ nichts geändert. Allein was helfen würde: Nur noch mit verlängertem Besenstil am Rad unterwegs sein, wie es die Teilnehmenden der Einbecker Fahrrad-Demo zum Jahreswechsel präsentierten.
Wer werktags in Einbeck unterwegs ist, dem begegnet die nächste „Unannehmlichkeit“ für Radfahrende: Ausgewiesene Radwege (mit Benutzungspflicht) werden stadtweit von parkenden Autos und LKWs blockiert. Größter Brennpunkt: Altendorfer Tor. Seit jeher lassen sich die zahlreichen anliegenden Autohäuser beliefern, indem die Sattelschlepper auf der gesamten Breite des Radwegs parken. Richter, Hübener, Kerkau, Autohaus Leinetal, und wie ihr alle heißt: Kriegt eure Zulieferer in den Griff! Und an das Ordnungsamt Einbeck: Schicken Sie doch wochentags zwischen 9 und 11 Uhr mal die ein oder andere Streife dorthin.
Auch an anderen Stellen werden die Blechkarren neuerdings auf Radwegen abgestellt. Am Freitagmorgen parkten in der Hullerser Landstraße gleich vier PKW mit ortsfremden Kennzeichen auf dem Fahrradweg, der hier getrennt von der Straße mit erhöhtem Borddstein geführt wird. Ein freundliches Haustür-Klingeln ergab: Die Autos gehören allesamt zu Mitarbeitenden des Johanniter Rettungsdienstes. Die erste Ansprechperson schien noch wenig beeindruckt von dem Hinweis, dass das rechtswidrig sei. Das ginge eben nicht anders mit dem Parken. Sind die Rettungsdienste nicht besonders interessiert daran, dass es sichere Rad-Infrastruktur gibt?
Zu schnell gefahren, zu eng überholt, falsch geparkt – manch eine würde wohl sagen solche Vergehen seien Kavaliersdelikte. Diese Bezeichnung verrät unfreiwillig mehr über die Einstellung mancher Autofahrer*innen als gedacht. Jurist Gilbert Häfner erklärt in einem Artikel des MDR: „Unter Kavaliersdelikten verstand man früher Vergehen von Adligen (ital. cavaliere = Ritter), für die Gesetze nicht galten.“
Wer öfter mit Autofahrer*innen diskutiert, weiß: Genau diese Attitüde ist die Ursache für den ungerechten und gefährlichen Verkehrsalltag. „Mit dem Auto bin ich König, ich bin schneller, stärker, und damit wichtiger, als Radfahrende und Fußgänger*innen, die Straße ist allein für mich gebaut, und die StVO sind doch eher Richtlinien.“
Die vielleicht schmerzhafte Realität: Der Feudalismus ist vorbei, auch auf der Straße. Da kann dir dein mattschwarzer BMW-SUV dein Ego noch so poliert haben, die StVO gilt auch für dich. Und die besagt: Parken auf dem Radweg ist kein Spaß, sondern eine Ordnungswidrigkeit, und wird mit mind. 55 € Bußgeld geahndet. Beim praktischen Regelfall, dass durch das Falschparken eine Behinderung anderer entsteht, sind es 70 € und ein Punkt in Flensburg.
Es macht mir keinen Spaß mit Ordnungsamt und Bußgeldern zu drohen. Ich will nicht, dass meine Mitmenschen aus Angst vor Strafe anfangen sich rücksichtsvoll zu verhalten. Oder dass Institutionen wie die Polizei überhaupt involviert werden müssen. In der Regel eskaliert das selbst lapidare Situationen, und gerechter ist es danach sicher nicht. Aber ich weiß inzwischen nicht mehr, wie ich zur abgedrehten Selbstwahrnehmung meiner Mitmenschen durchdringen soll, die ihre eigene Bequemlichkeit und das krampfhafte Festhalten an einer veralteten Mobilitätsform über meine körperliche Unversehrtheit und die gesellschaftlich ausgehandelte Rechtsgrundlage stellen.
Wie kommen wir endlich kollektiv zur Vernunft?
Verkehrswende jetzt.
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